Digitalisierung - Warum ist das so schwer?

Worum geht es eigentlich bei der Digitalisierung? Und warum erscheint es oftmals so schwierig oder sieht es so aus, als ob die eingeleiteten Transformationen scheitern? Meine Antwort: Weil die Menschen nicht mitgenommen werden, indem nur auf technische Strukturen geschaut wird. Um einen nachhaltigen digitalen Wandel zu gestalten, muß immer beides – die Menschen in ihren Arbeitswelten und die Strukturen der Organisation – zusammen gedacht werden. Da mir diese Gedanken häufig durch den Kopf gehen, habe ich sie hier aufgeschrieben.

Ein Schritt zu kurz

Der Beginn einer Antwort: Weil es nicht einfach um die Digitalisierung von Arbeitsprozessen als rein technische Umstellung geht, sondern um die Veränderung der Arbeitswelt hin zur Wissensarbeit. Und dabei wiederum geht es um eine Verhaltensänderung aller beteiligten Mitarbeitenden. Ein Teilaspekt davon ist der Datenschutz, den ich zu Beginn einmal als Beispiel nehmen möchte: Beim Datenschutz geht es (hauptsächlich) nicht um den technischen Schutz meiner Daten. Damit beschäftigen sich die Aspekte der Datensicherheit. Es geht um den Schutz der informationellen Freiheit und Selbstbestimmung. Geschütz werden Individuen. Vor der Speicherung und Verarbeitung ihrer Gewohnheiten und Gedanken. Was wiederum bedeutet, daß eine Reflektion über meine Gewohnheiten, abgebildet auf das Internet, mich dazu bringen kann, Maßnahmen zu ergreifen, die das Absaugen der Daten über meine Gewohnheiten verhindern. Habe ich bisher beispielsweise jedes Cookie-Banner mit OK weggeklickt, werde ich beim nächsten Mal in den Einstellungsdialog gehen und nur noch die technisch notwendigen Cookies akzeptieren. Oder ich installiere mir einen Skript-Blocker. Oder achte darauf, wo ich überall welche persönlichen Daten preisgebe. Ich ändere also nicht meine grundlegenden Gewohnheiten, was ich tue, sondern wie ich es in Bezug auf den Schutz meiner persönlichen Daten tue.

Ähnlich verhält es sich mit digitalen Transformationsprozessen. Und wie oben betrachtet würden sie wahrscheinlich funktionieren, tun sie aber oft nicht. Warum ist das so?

So technisch, wie „Digitalisierung“ und „digital“ klingt, ist es zu einem großen Teil auch. Da alles Digitale mit technischen Strukturen wie Software und Hardware zu tun hat, die unsere kontinuierliche Welt in eine diskrete abbilden. Das gute an diesem Teil des Prozesses: er funktioniert. Aber was funktioniert da eigentlich? Und wie? Wenn wir uns eine Software – ein Programm oder eine App – oder ein Teil Hardware – Laptop, Smartphone, Digitalkamera – kaufen, dann funktioniert sie im Normalfall. Und erledigt die Arbeitsabläufe entsprechend den Angaben in der Beschreibung oder im Handbuch. Vielleicht nicht ganz so, wie wir uns das vorgestellt haben, aber das fehlende Wissen, um den Überblick zurückzugewinnen, haben wir schnell erlernt. Den Zugang zur digitalen Sphäre über das Smartphone erlernten wir innerhalb von ein paar Jahren und die Bedienung fällt uns heute relativ leicht. Auch der Austausch von Daten und die Kommunikation gehen uns leicht von der Hand. Einige erforderliche Verhaltensweisen, wie z.B das Telefonieren an sich, funktionierten einfach so und haben uns den Weg erleichtert, die Schritte zu gehen, die eine Herausforderung für unser Verständnis darstellten. Der Prozess des Telefonierens hatte sich auch nicht groß verändert bis auf die Ortsungebundenheit. Die anderen Herausforderungen meisterten wir auch mit der Zeit. Vielleicht, weil kein Zeitdruck da war, der Reiz von etwas Neuem, was es zu entdecken galt, und mit der Hilfe von Freund:innen und Familie sind wir hier ganz gut im Digitalen angekommen. Ein einfacher Prozess wie das Telefonieren, der keine große Verhaltensänderung erforderte, führte uns Schritt für Schritt zu Abläufen, die wir durch eine Änderung unserer Denk- und Handlungsweisen in unseren Alltag integriert haben.

Was ist jedoch mit den vielen Arbeitswelten, die häufig noch in manuellen Prozessen stecken oder halbfertige, gescheiterte Digitalisierungsanläufe hinter sich haben und nicht ans befriedigende Ziel gelangen? In systemischer Sichtweise würde ich sagen, weil nur Teilbereiche betrachtet und zur Analyse herangezogen werden oder auch nur auf Symptome geschaut und dann versucht wird, diese allein zu verbessern. Es werden nicht alle Komponenten, die das System ausmachen und konstituieren, miteinbezogen. Dadurch ist das Bild, daß eine Organisation von diesem zu transformierenden System hat, unvollständig. Erst aus den vielen einzelnen Sichtweisen zusammengenommen und der durch sie gebildeten Realitäten ergeben sich die Möglichkeitsräume für Transformationen, die in der Zukunft bestand haben.

Die Umstrukturierungen in Organisationen hin zu digitaleren Abläufen haben meist das Ziel, Prozesse effizienter in Bezug auf Geld und Zeit zu gestalten. Wozu meist auch gehört, die Kommunikation zu verbessern. In dieser kleinen Betrachtung steckt bereits ein Hinweis auf die Schwierigkeiten, die zu Beginn eines solchen Wandels besteht. Er steckt ganz einfach in der Bewertung. Effizienz in Bezug auf Geld und Zeit zu messen ist letztlich einfach berechenbar. Eine Verbesserung der Kommunikation zu messen, um diese zu bewerten, ist schwieriger, da hier auch viele subjektive Faktoren der Mitarbeitenden eine Rolle spielen. Wird dieser Schritt außer Acht gelassen, dann werden bestehende manuelle und kommunikative Abläufe nur so erfasst und bewertet, wie sie mit Hilfe digitaler Werkzeuge abgebildet werden können. Durch die einfache Umwandlung von Abfolgen manueller Schritte läuft man Gefahr, einfach nur technische Lösungen bereitzustellen, die eine nur quantitative Änderung bewirken. Es wird ein digitales Tool bereitgestellt, welches diese Abbildungsleistung technisch realisieren kann, ohne vorher genau einzuschätzen, welche Umwandlungen denn überhaupt sinnvoll und wichtig sind, was vom vorherigen manuellen Prozess schon effizient funktionierte und vielleicht erhaltenswert ist und ob die Abbildung im transformierten Prozess überhaupt vollständig ist. Und vor allem wurde in diesem Transformationsschritt der Mensch vergessen, der den alten manuellen Prozess realisierte und jetzt den digitalen übernehmen soll. Die an dieser Stelle entstehenden Unsicherheiten, Widerstände oder gar Ängste müssen auf jeden Fall zu Beginn bereits mit in den Wandlungsprozess einbezogen werden.

Wichtig ist also, die Digitalisierung nicht nur als technische Komponente der Transformation zu sehen oder nur diesen Teil des Systems zu verändern, weil das am einfachsten realisierbar erscheint. In Gedanken werden dann schnell Computer gekauft und ein bißchen Software dazu, per Ansage wird die Kommunikation auf Online-Konferenz-Systeme umgestellt und fertig ist die Digitalisierung. Leider weiß dann noch niemand mit den neuen Werkzeugen umzugehen, sträubt sich vielleicht sogar, um sie effektiv einzusetzen und vielleicht sogar, damit etwas Neues zu formen.

Die Transformation zu Ende denken

Die digitale Transformation betrifft, so könnte man sagen, mehrere Realitäten, die für sich genommen jeweils eine eigene Welt ausmachen, aber erst zusammen gebracht und verknüpft ihre transformierende Wirkung voll entfalten können. Jeder Teil bedarf des anderen und die Veränderung eines Teilaspekts allein macht keinen Sinn. Es geht einerseits darum, manuelle Abfolgen von einzelnen Schritten in technische Abfolgen zu verwandeln, um sie rein technisch zu digitalisieren. Vielleicht spielt hier auch Geld- und Zeit-Ersparnis ein Rolle. Oder die Idee von mehr Fehlerfreiheit durch Automation. Das Ergebnis ist ein digitaler Prozess, der mit Hilfe eines technischen Werkzeugs realisiert ist. Dieser Schritt ist meist recht einfach umzusetzen. Hardware wird gekauft, Software kann programmiert oder ebenfalls gekauft werden. Der digitale Werkzeugkasten wird gefüllt. Andererseits wird jeder Prozess getragen, geformt und strukturiert, letztlich erst zum Leben erweckt und mit Sinn erfüllt, durch die den Prozess realisierenden Menschen. Die Menschen können jedoch nicht einfach in den Werkzeugkasten greifen und beginnen, digital zu arbeiten. Genauso wenig, wie hier die Werkzeug-Metapher funktioniert, wird dann auch kein transformierter digitaler Prozess entstehen. Die Menschen müssen sich erst in diese Realität hineindenken und -fühlen, sie erleben, die für die neue Realität notwendigen Verhaltensweisen erlernen, um sie mit Sinn zu füllen zu können und ihr Farben zu geben. Erst dann kann ein transformierter, nachhaltiger Prozess entstehen. Und weil in ihm beides – Struktur und Menschen – zusammen kommt, muß vor, während und nach der Transformation auch immer beides zusammen gedacht werden, um einen nachhaltigen Wandel zu gestalten.

Die ersten Schritte sind: Zu Beginn eines Transformationsprojekts herauszufinden, welche Abteilungen und Teams einer Organisation mit dem Projekt zu tun haben werden, wo es zu Veränderungen führen soll und wird. Dann loszugehen und mit den Menschen zu sprechen und vor allem zuzuhören. Warum sie etwas tun, wie sie etwas tun und welche Schwierigkeiten bestehen. Zu Fragen, welche Wünsche sie haben, was sie gern verbessern würden und was gut läuft. Dieses Bild der Arbeitsprozesse kann dann aufzeigen, welche technischen Strukturkomponenten benötigt werden, um die bestehenden Prozesse zu transformieren. Auch dieser Schritt immer überprüft und mit Feedback der Beteiligten Menschen zu Effizienz und Sinnhaftigkeit versehen. So werden in kleinen Intervallen festgelegte Bereiche einer Organisation umgestellt. Wobei alle Beteiligten auf diesen Weg mitgenommen werden, den sie vorher gestaltet haben.

Damit kann mit zwei Erzählungen umgegangen werden, die oft zu Beginn eines Wandlungsprozess schwierig zu überwinden sind. Die eine ist die, daß man sich zu Anfang versucht, einen großen Plan aller Veränderungen zu machen, indem man sich alle systemischen Einflüße – die man ja nicht kennen kann, da man es mit einer neuen Realität zu tun hat – vor Augen führt und versucht, ihre Konsequenzen – die Konsequenzen der noch nicht bekannten systemischen Einflüße – in den Plan einzuarbeiten. Das wird sehr schnell zu einer unlösbaren Aufgabe, weshalb die ursprüngliche Idee dann scheitert. Die zweite Erzählung ist die, dass ich als Überbringer:in der Idee des digitalen Wandels den Status Quo der gegenwärtigen Situation gravierend in Frage stelle. Und damit auch die Instanz in Frage stelle, die über die Ressourcen verfügt, die ich für die Umstrukturierung im Zuge der Digitalisierung natürlich dringend benötige. Zum Start eines Wandlungsprozesses also einmal die Komplexität des Projekts nur soweit erhöhen, wie ich sie benötige und steuern kann, und zum anderen den Umfang eines Teilschritts meines Projekts soweit fassen, daß er im eingeplanten Budget Platz hat. Andersherum betrachtet heißt das, daß sich keine nachhaltigen Veränderungen erkennbar manifestieren werden, wenn ich zu wenig Aspekte in einem Schritt verknüpfe – die Komplexität eines Schritts zu weit verringere – und auf der budgetären Seite, daß, wenn ein Veränderungsschritt, der schon weit verkleinert wurde, immer noch zu viel Kosten verursacht, vielleicht auch der Kostenrahmen für den Wandlungsprozess zu gering eingeschätzt wurde. Gerade zu Beginn eines solchen gravierenden Wandlungsprozesses sollten die Konzepte und Parameter von mehreren Standpunkten aus möglichst unvoreingenommen betrachtet, eingeschätzt und ihre Möglichkeitsräume erkundet werden.

Überblick

Vielleicht möchten wir häufig zu schnell eine Lösung. Möglichst eine preiswerte. Eine rein technische Lösung ist billig, schnell installiert und verspricht viel. Wir werden jedoch nichts erreichen können, wie ich weiter oben schrieb, wenn wir die Menschen in den Teams und Arbeitsgruppen außer acht lassen. Dann erhalten wir technische Prozesse ohne Farbe, Sinn und Leben. Es läuft dann alles ein bißchen automatischer.

Noch einmal zusammengefaßt: Kleine Bereiche kontinuierlich in übersichtlichen, handhabbaren Schritten verändern. Alle Beteiligten in Feedback-Schleifen einbinden, um Probleme und Veränderungen zu erkennen und darauf reagieren zu können. Dadurch kann die Transformation übersichtlich und steuerbar gestaltet werden, womit auch der Einsatz der Ressourcen nicht in Frage gestellt werden muß.

Die technischen Strukturkomponenten benötigen für ihren effektiven Einsatz den Rückhalt in der analogen Arbeitsumgebung durch Vertrauen und Wissen. Das heißt, die Prozesse, in denen sie benötigt und die Menschen, von denen sie benutzt werden sollen, müssen auf ihren Einsatz ein- und abgestimmt sein. Digitalisierung muß also, wenn sie durch eine effektive Umsetzung Ergebnisse erzielen soll, immer bei der Umgestaltung der Prozesse einer Organisation hin zur Wissensarbeit ansetzen. Der Weg zu einer nachhaltigen Arbeitswelt, die von Wissensarbeit geprägt ist, wird nur gelingen, wenn wir die Menschen auf diesem Weg mitnehmen, weil sie diesen Prozess erst beleben und gestalten werden.

Tags: digitalisierung, organisation, prozesse, systemisch, transformation, veränderung, zukunft

Kategorien: nachdenken